Vom Blinddarm bis zum E-Rezept
Dieser Artikel von Günter Göge erschien ursprünglich im Klosterglöckchen.
Als sich die Apothekerin Pia Ueberson vor drei Jahren selbständig machte, stieß das auf besonderes Interesse in Korbach. Schließlich ist die Familie der früheren ALS-Abiturientin bekannt in Waldeck. Und mit der Hirsch-Apotheke hatte die Mutter von drei erwachsenen Kindern das traditionsreichste Haus am Platze übernommen.
Ein imposanter Fachwerkbau im Herzen der Korbacher Altstadt. Hier verbindet sich seine 280 Jahre währende Geschichte mit der modernen Medizin. Der springende Hirsch ist dabei ein besonderes Erkennungszeichen des Hauses.
Die meiste Zeit des Jahres ruht die steinerne Figur auf einem Sockel an der Front des Gebäudes. Doch regelmäßig im Sommer wird das scheue Wild quasi zum Leben erweckt: Die aktuellen Abiturienten verkleiden ihn dann - humorvolle Gewänder mit einer Prise Zeitgeist sorgen für Aufsehen.
Dann zeigt sich die enge Verbindung zwischen der Apotheke und der einst nur einen Steinwurf entfernten ALS. Das aus allen Nähten platzende frühere Lan-desgymnasium - vor über 400 Jahren gegründet - ist zwar Anfang der 1970er Jahre aus dem Altbau an der Klosterstraße an den Rand der Stadt umgezogen.
Die Pennäler-Streiche sind aber fester Bestandteil der Abiturienten-Feiern geblieben: ein von den Korbachern mit großem Wohlwollen aufgenommenes, ständig wiederkehrendes Ereignis. Und ein beliebtes Fotomotiv.
Zumal in der Apotheke einer der berühmtesten Söhne der Stadt, Prof. Hermann Kümmell, zur Welt gekommen ist. Der Chirurg und Hochschullehrer wurde durch die erste Blinddarm-Operation mit Bauch-schnitt berühmt. Seine Heimatstadt ernannte ihn zum Ehrenbürger. Das Geburtshaus gab auch der früheren „Landstraße“ ihren Namen: Prof.-Kümmell-Straße.
Kein Wunder, dass Pia Ueberson mit ein wenig Stolz das geschichtsträchtige Haus führt. Dabei hatte der Vater ganz andere Pläne. „FIAT-Schmidt“ hätte gern gesehen, wenn sein Betrieb in der Familie geblieben wäre. Aber keines der Mädchen wollte die Werkstadt übernehmen.
Auch die 1966 geborene Tochter wählte Biologie und Deutsch als ALS-Leistungskurse für das anschließende Pharmazie-Studium in Marburg. „Apotheker sind heute gesuchte Fachleute in der Pharma-Industrie“, wirbt Pia Ueberson für den Beruf. „Sie übernehmen dort die gesamte Verantwortung für den Arzneimittelbetrieb.“ 80 Prozent der Studenten seien zwar weiblichen Geschlechts. Leider leiten aber überwiegend Männer die Apotheken, bemerkt sie.
Die Korbacherin betont die gute Zusammenarbeit in ihrem Team. Sie lege großen Wert auf die freundliche Ansprache und kompetente Beratung ihrer Kunden.
Eine wichtige Aufgabe komme ihrem Haus in der Kindermedizin zu. Die Arzneimittel für die jungen Patienten seien knapp. Hier helfe die Apotheke mit selbst hergestellten Rezepturen. Pia Ueberson: „Man fühlt sich manchmal wie in einer Manufaktur, nur mit viel strengeren Auflagen.“ Es mache sie stolz, „wenn wir diese Kinder später gesund in Korbach treffen.“
Dabei stellen moderne Techniken und Anforderungen des Gesetzgebers die Apotheken vor ständig wachsende Aufgaben. Jüngstes Beispiel: Die elektronische Gesundheitskarte und das E-Rezept. Die Apotheken fühlen sich manchmal geradezu überrollt. Von wegen alles ganz einfach: „Sie müssen nur die Karte an ihr Handy halten“, wie Günther Jauch in der Werbung sagt. „Was ist aber zum Beispiel mit älteren Patienten, die kein Handy haben?“ fragt Pia Ueberson. Auch da muss vor Ort die Apotheke helfen.
GÜNTER GÖGE
Klosterglöckchen